Leseprobe "Wishes of a Booklover"
Es geht weiter bei den Ladys im CookieBooks ...
Kapitel 1
Miley
»Und da kann man gar nichts mehr machen?«
»Tut mir leid, Miley.« Adrian steht ächzend auf. »Ich bin kein Techniker, aber ich denke, die Maschine hat das Zeitliche gesegnet.«
Ich könnte heulen. Wirklich. Meine geliebte Kaffeemaschine ist im Eimer. Eintausendfünfhundert Flocken – und ich rede hier nur vom Restbuchwert – verabschieden sich gerade auf Nimmerwiedersehen.
»Ich habe bereits mit Elijah gesprochen. Der meinte, er könnte sich die Maschine mal ansehen und uns für die Zwischenzeit eine Ersatzmaschine leihen. Am Montagvormittag bringt er das Leihgerät vorbei.« Aufmunternd drückt Kennedy, meine beste Freundin, meine Schulter. »Ich weiß, dass du an der Kaffeemaschine hängst. Vielleicht ist sie ja noch zu retten.«
Ja, ich hänge an diesem doofen Automaten, der die letzten Jahre ständig rumgezickt hat, obwohl mir völlig bewusst ist, dass er nur ein toter, silberner Gegenstand ist. Ich hatte ihn von Tante Amelias Erbe gekauft; jedes Mal, wenn ich an dem Ding hantiere, fühle ich mich meiner Tante verbunden. Irgendwie zumindest.
Kennedy und ich betreiben gemeinsam das CookieBooks, ein kleines, aber feines Büchercafé. Wir bieten Kaffee und Tee in allen möglichen Variationen an, dazu selbstgebackene Kekse und Muffins. Und natürlich Bücher über Bücher.
Das CookieBooks ist ein gemütlicher, heller Laden mit großen Fensterfronten direkt gegenüber der St. Pauls Churchs, dem Herzen des beschaulichen Maple Meadows. Vorn ist der Café-Bereich mit circa dreißig Sitzplätzen untergebracht, der hintere Teil des Geschäfts beherbergt die Buchhandlung. Uns ist bewusst, dass wir mit großen Buchhandlungsketten vom Sortiment her nicht mithalten können, aber unsere Kunden schätzen die Auswahl von Thrillern über Kinder- und Jugendbücher bis hin zu Herz-Schmerz-Literatur. Kennedy und ich sind stolz auf unser Konzept und haben viele Stammkunden, die immer wieder betonen, wie sehr sie den von uns geschaffenen Rückzugsort lieben.
Während Adrian sich die Hände an einem Handtuch abwischt, schenkt er seiner Freundin einen missbilligenden Blick, der in etwa so viel bedeutet wie Jetzt-mach-der-armen-kleinen-Miley-nicht-unnötig-Hoffnungen!
»Wenn es läuft, dann bergab«, murmle ich.
»Ach Miley, lass den Kopf nicht hängen«, verlangt Kennedy lächelnd.
Leichter gesagt als getan.
Es ist Ende November, das Wetter ist grässlich und nasskalt, überall sind Matsch und Pfützen. Wo bleibt der Schnee, für den Vermont über die Landesgrenzen hinaus so berühmt ist?
Ich hasse diese trübe Jahreszeit.
Wenn ich suizidgefährdet wäre, was ich nicht bin, würde ich mir vermutlich um diese Zeit einen Strick suchen und Harry Stiles Sign of the time auflegen …
Nach Feierabend möchte Kennedy unseren Laden weihnachtlich dekorieren, aber ich bin ganz und gar nicht in Weihnachtsstimmung – am liebsten würde ich das Fest der Liebe dieses Jahr komplett ausfallen lassen. Vor knapp zwei Wochen gab mein Fernseher den Geist auf, letzte Woche verstauchte ich mir den Knöchel, als ich auf der regenfeuchten Treppe ausrutschte, und jetzt ist auch die Kaffeemaschine im CookieBooks hinüber! Bei meinem Glück fällt mir als nächstes mein Handy in die Toilette, die Waschmaschine streikt oder ich breche mir noch irgendwas.
Stopp!
Ich atme dreimal tief ein und aus.
Schluss jetzt, sage ich mir. Ich bin ein positiv denkender Mensch, ich darf das nicht alles so schwarz sehen. Vermutlich will mir das Schicksal oder wer auch immer etwas mitteilen … Nur verstehe ich seine Sprache nicht!
Zwei Stunden lang hängen wir Tannengrün, Lichterketten, Girlanden, silbern glänzende Kugeln und pastellfarbene Sterne auf, die mit Satinbändern an den Wänden, der Decke und in den Fenstern befestigt werden. Links hinten in der Leseecke steht ein echter Weihnachtsbaum, der festlich, aber nicht übertrieben geschmückt ist. Die Fensterauslage zieren dicke, mintfarbene Stumpenkerzen in antik wirkenden Laternen, kleinere, identische Kerzen stehen in Gestecken aus Kiefernzweigen und Zapfen auf den Tischen. Für den Kassenbereich haben wir zwei weiße Orchideen in einer großen, silbernen Hammerschlagschale zusammen mit kleinen Kugeln, silbrigem Engelshaar und flechtenbewachsenen Hölzern arrangiert. Während der Verschönerungsaktion trinken Kennedy, ihre jüngere Schwester Taylor, unsere Mitarbeiterin und Freundin Anna sowie ich den von Kennedys Mom selbstgekochten Punsch, hören weihnachtliche Swingmusik und unterhalten uns. Nochmal lachen wir uns über den betagten Kunden schlapp, der mich letzte Woche hinter vorgehaltener Hand fragte, ob wir auch Space Cakes führen. Wir tauschen uns über mögliche und unmögliche Weihnachtsgeschenke für unsere Geschwister aus. Anna und ich erzählen von unserem Städtetrip nach Boston. Kennedy gibt eine amüsante Geschichte von ihrem Sohn Jamie zum Besten. Es ist schön, mit meinen Freundinnen hier zu sein. Mit Kennedy und den anderen scheint die Arbeit immer halb so schlimm. Ich habe es bisher noch keinen Moment bereut, mit meiner besten Freundin den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt zu haben. Wir sind unser eigener Chef, unabhängig und uns nur gegenseitig Rechenschaft schuldig.
Das CookieBooks erstrahlt in weihnachtlichem Glanz.
»Ist das nicht herrlich?!«, frohlockt Taylor, die ein echter Christmasholic ist.
Neben dem College jobbt sie bei uns und gehört von Anfang an zum festen Team.
Dass Kenny und Taylor verwandt sind, kann man lediglich erahnen. Während Kennedy dunkel gelockt, eher klein und insgesamt der weibliche Typ ist, ist ihre jüngere Schwester größer, gertenschlank und gleicht wegen ihrer Statur, ihrer Alabasterhaut und den hellen, langen Haaren einer Elfe. Charakterlich unterscheiden sie sich ebenfalls: Taylor ist einnehmend, impulsiv und vorlaut, Kennedy eher sensibel und zurückhaltend, wenn auch nicht weniger wortgewandt. Das ansteckende Lachen und ihr großes Herz haben die zwei aber gemein.
»Du bist einfach ein kreatives Genie«, meint Kennedy, bevor sie losprustet.
Wider Willen muss ich mitlachen. Taylor schießt, was Weihnachten und Deko an sich betrifft, oft übers Ziel hinaus. Die beiden Russo-Schwestern haben sich bereits mehrfach in die Haare gekriegt, weil Kenny es gern schlicht mag, Taylor hingegen Glanz und Gloria bevorzugt.
Letztes Jahr zofften sich Taylor und ihr Freund Bruce sogar so sehr wegen des Weihnachtsbaums, dass sie sich trennten. Glücklicherweise ist Taylor ansonsten ganz in Ordnung und Bruce ein echtes Goldstück – für die Operation Rückeroberung Taylors Herz hatte er sich mächtig ins Zeug gelegt. Doch ich muss den zwei Schwestern zustimmen, das CookieBooks sieht traumhaft aus. Taylor versteht es, unser Buchcafé weihnachtlich, stilvoll, aber auch ein Stückchen verspielt glänzen zu lassen. Damit es nicht zu viel des Guten ist, mussten wir sie nur ein kleines bisschen bremsen.
»Es ist wirklich wunderschön geworden«, bestätige ich nach Luft ringend und Anna bekräftigt nochmal, wie toll es im Laden aussieht.
Nachdem wir uns beruhigt haben, fragt mich Taylor: »Und du hast heute Abend echt ein Blind Date?«
Ich nicke. »Ja. Und ich bin schon wahnsinnig gespannt«, erkläre ich augenrollend.
Taylors Bambi-Augen werden noch ein Stück runder. »Das klingt nicht sonderlich erfreut.«
Nur mühsam widerstehe ich dem Drang, eine Grimasse zu ziehen. »Diese Suppe hat Miron mir eingebrockt. Er kennt den Kerl aus dem Fitnessstudio. Aber er behauptet, er sei echt nett.«
»Nett?«, schnaubt Taylor.
»Ja, nett und lustig und mit guten Manieren.«
Miron, mein großer Bruder, meinte, Clay sei Beziehungsmaterial. Ob ich wirklich nach jemandem wie diesem Clay suche, weiß ich nicht. Ich befürchte, er ist ein Langweiler. Der Gedanke ist gemein und deshalb werde ich ihn nicht laut aussprechen, doch ich frage mich ernsthaft, ob ich so einen Typen näher kennenlernen will.
Will ich einen Mann, der Beziehungsmaterial ist?
Dieses Wort klang aus Mirons Mund furchtbar … spießig.
Ich möchte keinen langweiligen Spießer!
»Was willst du denn für einen Mann, Miley?«, wollte mein Bruder erst vor ein paar Tagen wissen, als ich leise und zaghaft Zweifel an der Eignung des von ihm auserwählten Kandidaten angesprochen habe.
Was will ich für einen Mann?
Ich möchte einen Partner. Einen Mann, dem ich auf Augenhöhe begegnen kann. Einen Kerl, der mich zum Lachen bringt, der mit mir lacht, aber auch ernste Gespräche führt. Einen Mann, der mich für voll nimmt und der in mir mehr sieht als die anderen. Der Anstand hat. Und bitte ein geregeltes Einkommen. Einen, der mein Innerstes berührt, ohne es zu zerbrechen. Und ganz nebenbei soll er bitte ansehnlich sein.
Nein, ich bin nicht oberflächlich. Weder brauche ich einen heißen Latino, einen Zwei-Meter-Muskel-Protz noch ein männliches Supermodel, aber trotzdem! Wohlstandsbäuchlein und Halbglatze kommen vermutlich irgendwann ganz von allein …
»Und so einen willst du?«, bringt Taylor meine Gedanken Clay betreffend ziemlich exakt auf den Punkt.
Ich winde mich und suche nach einer Antwort, die nicht zu viel verrät und nicht gemein klingt.
»Mir graut eher vor dem Blind-Date an sich.«
Defensiv ziehe ich die Schultern hoch und Taylor beäugt mich weiterhin. Es ist sonnenklar: Sie hat mich durchschaut.
Wie kann jemand, der eine so gute Menschenkenntnis besitzt, nur Wirtschaftswissenschaft studieren?
Ich seufze. »Tay, du solltest beruflich umsatteln.«
Die jüngere Schwester meiner besten Freundin grinst selbstzufrieden, ihre Augen blitzen amüsiert. In einer fließenden Bewegung wirft sie ihr langes, blondes Haar zurück. »Ich weiß, danke. Vielleicht studiere ich noch Psychologie. Ich könnte mich mal mit Miron unterhalten. Was meinst du, ich wäre sicher eine Spitzen-Profilerin, oder?« Gespielt nachdenklich tippt sie sich ans Kinn. »Aber jetzt mal im Ernst, willst du diesen Typ wirklich kennenlernen? Schon der Name klingt … öde.«
»Sei nicht so voreingenommen«, verteidigt Kennedy mein Vorhaben, während sie unsere leergetrunkenen Becher erneut mit dem leckeren Punsch befüllt. »Du bist doch normalerweise diejenige, die auf die verrücktesten Ideen kommt!« Sie drückt Taylor die Tasse in die Hand und schenkt ihr jenen tadelnden Blick, den nur große Schwestern draufhaben. »Und außerdem hat Miron eine gute Menschenkenntnis und Miley ist alt genug, um zu wissen, was sie tun oder lassen soll.«
»Vielleicht sollte ich wirklich mal wieder eine ernsthafte Beziehung in Betracht ziehen«, murmle ich.
Vermutlich bin ich selbst nicht der Typ Frau, der in die Kategorie Beziehungsmaterial fällt, aber einen Versuch wäre es doch wert. Wieder einmal. Beim Gedanken daran, wie meine beiden einzigen, bedeutsamen Beziehungen zu Bruch gingen, breitet sich ein dumpfer Schmerz in meiner Brust aus.
Ich seufze tief.
»Woher denn der Sinneswandel?«, hakt nun Anna, die auch fleißig beim Schmücken geholfen hat, nach. »Ich dachte, wenigstens du bleibst standhaft! Miley, wir brauchen keine Männer, um glücklich zu sein.«
Seit langem wohnen Anna und mein Bruder zusammen. Zuerst in einer WG, dann in ihrer Wohnung. Vor Jahren stand sie kurz davor, ihren langjährigen Freund Carson zu heiraten. Doch statt mit ihr in die Eigentumswohnung zu ziehen und ihr ewige Liebe und Treue zu schwören, entschied er sich für seine Karriere. Statt bei seiner Freundin zu bleiben, ihr zehn Kinder zu machen und mit ihr alt zu werden, ging er allein nach Seattle.
»Ab und an brauche ich schon einen Mann, um glücklich zu sein«, widerspreche ich lachend.
Obwohl ich meine biologische Uhr bislang nicht ticken höre, erinnern mich meine Gran, meine Mom und meine Tante in immer kleiner werdenden Abständen an die Tatsache, dass ich scharf auf die Dreißig zusteuere. Ihrer Meinung nach solle ich mich ranhalten, wenn ich denn noch einen anständigen Kandidaten vor den Altar zerren und Kinder gebären wolle. Ich will mich nicht verrückt machen lassen, aber steter Tropfen höhlt den Stein …
Seit ich dreiundzwanzig und nicht mehr mit Matthew zusammen bin, wird mir ständig die gleiche Leier vorgebetet. Schnell verscheuche ich den Gedanken an Matt – er ist der letzte Mann, an den ich gerade denken möchte.
»Pah! Dafür gibt es genug andere Hilfsmittel! Selbst ist die Frau«, erklärt Anna kopfschüttelnd und lenkt mich wieder ins Hier und Jetzt, ins weihnachtlich geschmückte CookieBooks.
Wir lachen und ich bin froh, dass wir Frauen unter uns sind. Männer würden dieses Gegacker nicht nachvollziehen können.
Kapitel 2
Miley
Knapp zweieinhalb Stunden später betrachte ich eingehend mein Spiegelbild. Das lange, braune Haar habe ich locker nach hinten gesteckt, meine blauen Augen sind mit rauchgrauem Lidschatten und ordentlich Wimperntusche betont, der Mund ist rot geschminkt. Ich mag mein Gesicht.
Die smaragdgrüne Bluse, die ich mir erst kürzlich genäht habe, umspielt meinen Oberkörper, die dunkle Jeans sitzt perfekt. Dazu trage ich lediglich Ohrstecker, die Miron mir zum letzten Geburtstag geschenkt hat, und eine zarte Silberkette.
Ja, ich bin mit meinem Äußeren zufrieden. Zumindest meistens und wenn ich nicht ausgerechnet einen Bikini tragen muss.
Seufzend schlüpfe ich in Stiefel, die ich trotz schmerzendem Knöchel anziehen kann, ziehe meine Daunenjacke über und gehe dann in die Hocke, um mich von meinem Kater zu verabschieden. »Bis nachher, Dickerchen. Sei brav und mach keinen Terror, sonst regt sich Mrs. Brown von gegenüber wieder auf.«
Yoda wirkt wenig beeindruckt von meiner Drohung. Hoheitsvoll sitzt er vor mir und schenkt mir einen tadelnden Blick.
Du machst einen Fehler, scheint er mir sagen zu wollen. Schon wieder.
»Sei still und wünsch mir lieber Glück«, flüstere ich, als ich das Licht ausschalte und die Wohnungstür hinter mir ins Schloss ziehe.
Zwanzig Minuten darauf wird mir klar, dass ich nicht nur Glück, sondern auch gute Nerven brauche – Clay verspätet sich. Wenn Kennedy zu spät kommt, bin ich nicht kleinlich; schließlich hat sie ein kleines Kind, da kann schon mal etwas den eng getakteten Zeitplan durcheinanderbringen. Aber dafür, dass Clay sich laut seiner eigenen Aussage so auf ein Treffen mit mir freue und es kaum erwarten könne, mich persönlich kennenzulernen, lässt er sich verdammt viel Zeit. Er hat es nicht einmal für nötig befunden, mir eine Nachricht zu senden. Ärgerlich starre ich zum vermutlich zwanzigsten Mal auf die Rathausuhr. Zwei Minuten gebe ich ihm noch, dann verschwinde ich. Kennedy und Taylor haben heute erwähnt, sie würden ins Kino gehen. Wenn der Typ mich hängen lässt, schließe ich mich den beiden an und hake diesen Abend als vergebliche Liebesmüh ab.
»Hey Miley, wartest du schon lang?«, ertönt plötzlich oder genau genommen endlich eine tiefe Stimme hinter mir.
Ich drehe mich um und vor mir steht Clay.
Er hat mir nur einmal ein Foto von sich geschickt, einen Urlaubsschnappschuss, auf dem nicht viel zu sehen war. In natura sieht er … nett aus.
Ich höre Taylors Kichern in meinem Kopf und versuche, es zu verscheuchen.
Clay ist wirklich groß, bestimmt über einsneunzig. Er hat breite Schultern und wirkt auf den ersten Blick schlank. Sein Gesicht ist kantig, aber sympathisch. Die Augenfarbe kann ich in den schlechten Lichtverhältnissen nicht genau erkennen.
»Hi Clay. Nun ja, eine Weile«, murmle ich lächelnd, darum bemüht, mir den Ärger nicht anmerken zu lassen.
»Tut mir leid, ich hatte Probleme, einen Parkplatz zu finden.«
Aha.
Schluck’s runter, Miley.
Ja, schon gut, ich werde mir Mühe geben.
»Macht ja nichts. Können wir trotzdem los?« Ich trete von einem Fuß auf den anderen und verfluche mich, da ich aus Rücksicht auf meine Frisur meine Mütze nicht aufgesetzt habe. »Sonst friere ich hier fest.«
»Entschuldige, wie unhöflich von mir!«
Er bietet mir seinen Arm zum Unterhaken an, was ich positiv überrascht zur Kenntnis nehme.
Wir plaudern ein wenig über das Wetter und den anstehenden Weihnachtsmarkt, während wir an den noch verwaisten Buden vorbei schlendern. Die Situation ist verrückt, aber schließlich komme ich aus der Gastronomie – da redet man ständig mit wildfremden Leuten.
»Wohin gehen wir denn?«
Clay und ich haben den Treffpunkt am Rathaus vereinbart, weil er mich mit dem Restaurant überraschen wollte.
»Ins Steakhouse. Das Rinderfilet dort ist der Hammer. Das zergeht auf der Zunge, das musst du probieren!«
Na großartig.
Ich bin Vegetarierin.
Diese Tatsache habe ich in den Nachrichten, die wir seit drei Wochen hin- und herschicken, erwähnt. Ein Steakhouse steht auf meiner Liste deshalb ganz oben … nicht.
»Oh«, erwidere ich wenig eloquent.
»Magst du kein Rind?«, fragt er, scheinbar völlig ahnungslos.
»Ich mag gar kein Fleisch«, gebe ich unumwunden zu. »Ich bin Vegetarierin.«
»O Mist! Das hast du ja gesagt«, erwidert Clay seufzend. »Tut mir leid, daran habe ich nicht mehr gedacht. Ich esse für mein Leben gern Fleisch, weißt du? Wenn du willst, können wir auch woanders hingehen.«
»Nein, es ist in Ordnung.« Ich ringe mir ein Lächeln ab. »Die Ofenkartoffelvariationen dort sind wirklich lecker.«
Mit meinem Bruder und Anna war ich bereits zweimal im Steakhouse, denn auch Miron ist einem guten Steak gegenüber nie abgeneigt.
Als wir vor besagtem Lokal stehen, hält Clay mir die Tür auf. Dankend trete ich ein und werde von wohliger Wärme und dem Duft von Gebratenem umhüllt. Endlich kann ich Clays Gesichtszüge deutlich sehen. Sein Kinn ist markant und wird von einem Grübchen geziert, die Wangen sind glatt rasiert, das Gesicht insgesamt wirkt sehr männlich. Clays Augen sind blaugrau, die Stirn ist ein wenig hoch und widerspenstige, braune Haare stehen ihm vom Oberkopf ab. Er erinnert mich an jemanden, vielleicht einen Schauspieler, aber ich komme im Moment nicht darauf.
Eine Servicekraft geleitet uns zu einem freien Tisch, reicht uns die Speisekarten und nimmt die Getränkebestellung auf.
»Findest du etwas Passendes?«, fragt Clay mich nach einer Weile.
Bilde ich es mir ein oder ist in dieser Frage eine Spitze enthalten?
»Ich glaube, ich nehme die Countrypotatos mit den verschiedenen Dips und einen Salat. Und du?« Lächelnd sehe ich von der Karte hoch zu Clay.
Er zieht die Brauen zusammen. »Das Angusfilet und einen Salat. Kohlenhydrate am Abend können tödlich sein.«
»Was isst du denn sonst abends? Du achtest wohl sehr auf deine Ernährung.«
Mein Kiefer spannt sich an, ich kann nichts dagegen tun. Sitze ich hier etwa mit so einem Möchtegern-Fitness-Guru? Falls dem so ist, kriegt Miron morgen mächtig Ärger.
Mein Bruder und Clay kennen sich aus dem Fitnessstudio, aber Miron hat mehrfach betont, dass Clay ein ganz normaler, netter Typ sei.
»Natürlich achte ich auf mich! Wenig Kohlenhydrate, viele Ballaststoffe, viel Eiweiß, ausreichend Flüssigkeit, kein Alkohol, kein Nikotin. Und ich treibe regelmäßig Sport.« Sein Blick gleitet von oben bis unten über mich und es fühlt sich nicht angenehm an. Eher so, als würde er versuchen, meinen Bodymaßindex zu analysieren. »Wie sieht’s da bei dir aus?«
Die Bedienung kommt und stellt die Getränke vor uns ab. Clay hat sich für Wasser entschieden, ich habe mir ein Glas Rotwein bestellt.
Toll.
»Ich mache täglich Yoga«, erwidere ich und hebe demonstrativ mein Glas. »Auf einen unvergesslichen Abend.«
Dieser Abend ist wirklich erinnerungswürdig.
Nie wieder lasse ich mich auf ein Blind Date ein, nie wieder höre ich auf meinen großen Bruder. Seine Ideen, was mein Liebesleben betrifft, werden immer verrückter. Ich werde mit Anna reden, wir sollten Miron bei einer Online-Dating-Plattform anmelden. Wenn er selbst aktiv auf Partnersuche geht, wird er mich in Ruhe lassen.
Bis das Essen kommt, läuft es einigermaßen, wie gesagt, Smalltalk kann ich. Wir schneiden nochmals das Thema Wetter an, dann erzählt Clay von einer Kubareise im vergangenen Sommer, ich von einem Hilfsprojekt, das ich vor ein paar Jahren in Bolivien vor Ort unterstützt habe. Wir stellen fest, dass wir beide das 90er-Festival in Burlington vor zwei Monaten besucht haben. Das Essen wird serviert und natürlich reden wir auch über die Arbeit. Ich erzähle mit Herzblut vom CookieBooks, wie glücklich Kennedy und ich sind, dieses Projekt auf die Beine gestellt zu haben.
Während Clay über seine Arbeit schwadroniert – er ist Angestellter am Gericht in Burlington – überlege ich fieberhaft, warum ich gleich nochmal eine ernsthafte, feste Beziehung anstrebe? Ich habe doch meinen Kater Yoda, mit dem ich abends auf dem Sofa kuscheln kann, und wenn ich eine Schulter zum Anlehnen brauche, ist mein Bruder zur Stelle. Falls ich sexuelle Bedürfnisse habe, gibt es kleine, bunte Helfer und im absoluten Notfall findet sich in der nächsten größeren Stadt ein hübscher Kerl, mit dem ich unverbindlich ein bisschen Spaß haben kann.
Ich versuche, Clays Ausführungen zu folgen. Er erzählt mir von Erbstreitigkeiten und Familiendramen, die an schlechte Filme erinnern.
Mit der Hand streicht er sich durch die Haare und plötzlich weiß ich, an wen er mich erinnert! Der Gedanke ist unpassend, doch ich muss an Hades aus dem Disney-Film Hercules denken. Ich bin ein Mädchen und liebe sämtliche Animationsfilme von Disney, Pixar und wie sie alle heißen mögen.
Ob Clays Haar wohl auch brennt, wenn er sich aufregt?
Ich unterdrücke ein Grinsen, das erste seit Stunden.
Mein Gegenüber ist vermutlich in Ordnung, aber mir ist klar, dass dieses Date das erste und einzige sein wird. Er ist höflich zu mir, jedoch behandelt er das Servicepersonal des Restaurants von oben herab. Etwas, was ich gar nicht abkann. Außerdem ist er ein Ernährungsfanatiker.
Hatte ich schon, brauche ich nicht nochmal.
Ein Typ, der mir die von mir verzehrten Kalorien vorrechnet und die Cellulite an meinem Hintern kritisiert, kann mir echt gestohlen bleiben.
»Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?«, reißt er mich aus meinen Gedanken.
Er blickt mich offen an. Interessiert.
Ist das eine Fangfrage? Hat das jetzt mit seinem Beruf bei Gericht zu tun? Oder fragt er aus religiösem Interesse?
»Ähm … also, ich glaube, dass es ein Leben nach dem Tod gibt.« Ich schlucke schwer und trinke etwas, um Zeit zu gewinnen. »Wir sind Katholiken und meine Familie ist sehr gläubig, das impliziert das ja.«
»Denkst du, dass die Seele weiterlebt?«
Clay sieht mich so durchdringend an, dass Gänsehaut auf meinen Armen erblüht.
Mit Kennedy oder meinem Bruder habe ich über sowas bereits öfter philosophiert, meistens an einem lauen Sommerabend und nach einer Flasche Wein. Beim ersten Date darüber zu reden ist jedoch spooky.
Und Miron hat behauptet, der Typ sei normal …
»Ja, ich glaube schon, aber ich weiß nicht, wie. Und in welcher Form.«
»Hattest du einmal ein geliebtes Haustier?«
Der abrupte Themenwechsel irritiert mich. Ich spüre regelrecht, wie meine Brauen hochschießen. »Ja, einen Hund. Er wurde vierzehn Jahre alt.«
Clay sieht mich ernst an, beugt sich ein Stück zu mir über den Tisch und senkt seine Stimme: »Ich habe mal ein Seminar besucht, bei dem man lernte, Kontakt mit Verstorbenen aufzunehmen. Sollen wir eine Verbindung zu deinem verstorbenen Hund aufbauen?« Langsam schließt er die Augen, als versuche er, sich zu konzentrieren. »Du musst ihn nur leise rufen.«
Ach du liebe griechische Mythologie! Vor mir sitzt leibhaftig Hades aus der Unterwelt! Wie sonst könnte er mit toten Tieren reden?
»Nein, lieber nicht«, wehre ich vehement ab. Nur mit Mühe kann ich mir ein Prusten verkneifen. »Snufkin hat schon nicht auf mich gehört, als er noch gelebt hat.«
Das restliche Date vergeht ähnlich strange, doch wenigstens ist das Essen gut.
Wieder vor dem Steakhouse versuche ich, Clay höflich, aber bestimmt loszuwerden.
»Soll ich dich noch nach Hause bringen?«, bietet er mir an. »Ich habe nicht weit von hier geparkt.«
»Das ist wirklich nett von dir, doch das musst du nicht«, lehne ich sein Angebot ab.
»Es macht mir nichts aus. Zum Dank kannst du mir ja einen Kaffee anbieten.«
Fast fällt mir die Kinnlade runter. Hat der Typ sich gerade selbst zu mir in die Wohnung eingeladen? Clay ist nicht nur komplett durchgeknallt, er ist auch dreist! Eine Kombination, die mir überhaupt nicht gefällt. Mein Bruder darf sich morgen warm anziehen. Ich kann nicht glauben, dass er mir einen Psychopathen andrehen wollte!
»Clay, es war ein amüsanter Abend, aber du wirst mich jetzt nicht nach Hause bringen.« Demonstrativ schaue ich auf die Rathausuhr. »Ich bin noch mit meinen Freundinnen im Dome verabredet. Komm gut heim.«
Ich schüttle ihm die Hand und weiche ihm schnell aus, als er mich in eine Umarmung ziehen will.
»Sehen wir uns wieder?«, fragt er.
Er klingt hoffnungsvoll. Hat er denn nicht bemerkt, dass die Chemie kein bisschen stimmt?
Sicher nicht freiwillig und nicht in diesem Leben, möchte ich antworten, tue es aber nicht. Ich bin kein Unmensch und so eine Aussage wäre kontraproduktiv für mein Karma.
In einem Anflug von Unglauben muss ich mir ein Lachen verbeißen. »Wer weiß. Doch ich denke eher nicht.«
Ich drehe mich um und humple – ja, nach Stunden in den Stiefeln bringen mich meine Füße beinahe um – die hell erleuchtete Straße entlang Richtung Dome, um schnellstmöglich Distanz zwischen diesen seltsamen Kerl und mir zu schaffen.
Im Dome, eines der wenigen Lokale, die Maple Meadows Nachtleben attraktiv machen, schüttle ich mich kurz, um die Erinnerung an diesen katastrophalen Abend loszuwerden. Dann atme ich erleichtert auf und lasse mich auf einen freien Lederhocker an der Bar plumpsen. Ich brauche jetzt dringend einen Drink. Einen Cocktail. Süß, fruchtig und stark. Ich schnappe mir die Faltkarte, obwohl ich eigentlich lediglich überlegen muss, ob ich mehr zu Mai Tai oder Zombie tendiere.
»Hey Miley«, begrüßt mich der Barkeeper.
Ich schaue nicht auf, murmle nur »Hey Jacob« und studiere weiter die Karte. Hat Clays Wahn heute etwa auf mich abgefärbt? Warum bin ich ins Dome gehumpelt? Ich hätte ins Steam gehen sollen, dort wären vielleicht Anna oder mein Bruder Miron, den ich bei der Gelegenheit gleich hätte erwürgen können. »Ist Kennedy da?«
»Siehst du sie hier irgendwo?«, erwidert Jacob genervt.
Reflexartig recke ich das Kinn und blicke mich suchend um. »War sie da?«, frage ich ebenso maulig.
Jacob hantiert mit dem Shaker, hält kurz in der Bewegung inne und sieht mich an. Vermute ich zumindest. Ich sehe ihm nämlich nicht ins Gesicht, sondern an ihm vorbei auf die verspiegelte Wand der Bar. »Ja, war sie. Taylor und sie sind vor ungefähr einer halben Stunde los, weil sie ins Kino wollten.«
Verflixt! Wenn ich Clay früher abgewürgt hätte, könnte ich mir jetzt irgendeine Komödie reinziehen. Ich nicke und seufze tief. Währenddessen bringt Jacob ein Tablett voll Cocktails an einen Tisch mit jungen Ladys, die zum Dank irgendetwas säuseln und verzückt kichern. Sind die überhaupt schon alt genug, um alkoholhaltige Cocktails trinken zu dürfen?
»Willst du auch etwas trinken oder nur den Barkeeper nerven?«, möchte Jacob wissen, nachdem er sich von seinen Fans loseisen konnte.
Demonstrativ rolle ich mit den Augen, falte die Karte zusammen und lächle ihn übertrieben an. »Glaub mir, meine Laune ist heute so beschissen, das kannst du mit deinen Sprüchen gar nicht mehr toppen.«
»Wollen wir wetten?« Er lehnt sich ein Stück zu mir über den Tresen, grinst mich an und zeigt dieses verfluchte Grübchen in seiner linken Wange.
»Ich wette nicht.«
Nicht mehr. Ich bin da ein paar Mal böse auf die Nase gefallen.
»Also, was willst du trinken?«
Sein Seufzer klingt so frustriert, dass er mir beinahe leidtut.
»Einen Zombie.«
Er mustert mich durchdringend mit seinen schokoladenbraunen Augen und zieht die Brauen hoch. »Sicher?«
»Ganz sicher.« Bekräftigend nicke ich. »So sicher wie das Amen in der Kirche.«
Kopfschüttelnd greift Jacob nach den Schnapsflaschen auf den Regalen hinter sich. Während er den Cocktail mixt, bemerke ich, dass er mich im Spiegel immer wieder ansieht.
»Miesen Tag gehabt?«, fragt er mitfühlend und schiebt mir den eiskalten, mit orange-roter Flüssigkeit gefüllten Glaskelch über den Tresen.
»Mehr als mies«, antworte ich, dann nehme ich einen kräftigen Schluck durch den Strohhalm.
Ah, das tut gut.
»Wie geht’s deinem Knöchel?«, erkundigt Jacob sich weiter nach meinem Wohlbefinden.
Jetzt mustere ich ihn meinerseits. Er war beim Friseur, seine dunklen Haare sind kürzer. Seine Augen sind warm und erinnern an leckere, heiße Schokolade, seine Wangen und sein Kinn ziert ein Dreitagebart, um seinen Mund spielt ein Lächeln. Das graue Shirt, unter dem ein Teil seines Half-Sleeve-Tattoos hervorblitzt, könnte eine Nummer größer sein, es betont absichtlich seine Muskeln. Ich habe den Faden verloren … Ah, richtig! Woher weiß er überhaupt von meiner Verletzung?
»Geht so. Unkraut vergeht nicht.«
Er schüttelt schwach mit dem Kopf, dann macht er sich daran, ein paar Bier zu zapfen. Eine Bewegung neben mir lässt mich herumfahren. Ehe ich es verhindern kann, zucke ich erschrocken zusammen. Clay sitzt plötzlich neben mir.
»Was machst du hier?!«
Keine besonders nette Reaktion, aber er hat mich überrumpelt. Außerdem finde ich es wirklich unheimlich, dass er mir nachgekommen ist.
»Ich wollte nur mal sehen, ob du gut angekommen bist.« Sein Blick schweift durch die Bar, bevor er mich mit gerunzelter Stirn mustert. »Wo sind denn deine Freundinnen?«
»Die habe ich gerade verpasst«, erwidere ich bissig.
»Dann können wir beide noch was miteinander trinken«, schlägt er ungerührt vor und legt einen Arm um mich. Er deutet auf mein halbvolles Glas. »Ich gebe dir gern einen aus.«
Ich versuche, mich aus der unerwünschten Umarmung zu befreien. Doch als ich unter seinem Arm herausschlüpfen möchte, intensiviert er die Berührung.
»Clay, hör bitte auf. Ich will das nicht«, erkläre ich deutlich.
Mein Verehrer gibt mich zwar frei, scheint aber unbeeindruckt von meiner Reaktion. Er wendet sich Jacob zu. »Entschuldigung, kannst du uns nochmal so einen Cocktail mixen? Und für mich eine Coca Cola Zero.«
Wow. Jetzt lässt er’s wirklich krachen …
Jacob sieht dem Typ neben mir in die Augen, dann flackert sein Blick zu mir, bevor er wieder Clay ansieht. Langsam schüttelt er den Kopf und zapft das nächste Bier. »Tut mir leid. Ich denke, die Lady hat gerade deutlich gemacht, dass sie mit dir nichts trinken will.«
»Wer hat dich denn gefragt?«
Jacob zuckt unbeeindruckt mit den Schultern. »Lass Miley in Ruhe.«
Angriffslustig beugt Clay sich ein Stück über den schwarzen Tresen. »Ich wüsste nicht, was dich das angeht. Wer bist du überhaupt?!«
»Clay, jetzt mach hier bitte kein Fass auf.« Beschwichtigend lege ich eine Hand auf seinen Unterarm.
Mein Bruder hat mich auf ein Date mit einem Psycho geschickt. Wenn ich den in die Finger kriege … wie konnte er diesen Typen für normal halten?!
Jacob lässt sich von Clay nicht aus der Ruhe bringen. »Ich bin hier Barkeeper und ganz nebenbei ein Freund von Miley. Mehr musst du nicht wissen.«
»Bekommen wir jetzt etwas zu trinken?«, fordert Clay unwirsch.
Jacob stützt die Hände auf dem Tresen ab, seine Augen werden schmal. »Von mir kriegst du sicher nichts.«
»Also, das ist doch eine Frechheit!«, echauffiert sich Clay. »Ich will sofort den Geschäftsführer sprechen!«
Während er redet, bekommt er lauter rote Flecken auf seinem Hals und im Gesicht. Es fehlen nur die in Flammen aufgehenden Haare.
Und ich hatte gedacht, dieser Abend könnte nicht noch verrückter werden.
Kennedy lacht sich schlapp, wenn ich ihr das erzähle.
Memo an Miley: Hör nie wieder auf deinen großen Bruder.
»Gibt es hier irgendein Problem?«, mischt sich Chris, Jacobs Kollege, ein.
Plötzlich steht er direkt neben Jacob und legt ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.
Chris kenne ich beinahe so lang wie Jacob. Ich mag ihn sehr, er ist witzig, gutaussehend und charmant. Und er ist absolut treu, seine Freundin hat mit ihm den Jackpot geknackt. Wenn er nicht seit Ewigkeiten eine Freundin hätte, wäre der blonde Kerl wirklich eine kleine Sünde wert. Der wäre Beziehungsmaterial!
Chris lächelt Clay professionell an und dieser scheint erleichtert, weil er sich weiter aufspielen kann.
»Und ob es das gibt«, wettert er und deutet auf Jacob. »Dieser Typ hier tut so, als würde ihm der Laden gehören. Ich will sofort den Geschäftsführer sprechen.«
»Was war denn los, Miley?«, wendet sich Chris nun mir zu.
Clay schnappt nach Luft; scheinbar wird ihm soeben klar, dass auch Chris und ich uns besser kennen. Dieses ungläubige Geräusch entlockt mir ein Glucksen.
So ernst wie möglich beantworte ich die an mich gerichtete Frage. »Der Herr wollte mir einen Cocktail ausgeben, doch ich möchte das nicht.«
Jetzt schenkt Chris meinem Psycho-Date wieder seine volle Aufmerksamkeit. Entschuldigend lächelnd zuckt er mit den Schultern. »Tja, tut mir leid. Der Boss ist heute Abend in einem anderen Laden, ich kann Ihnen aber gern seine Visitenkarte geben, falls Sie persönlich mit ihm reden wollen. Da die Lady nichts mit Ihnen trinken will, schlage ich vor, Sie wählen einen anderen Platz.«
»Also, das ist doch wohl die Höhe!«, wirft Clay ungläubig ein.
»Wenn Sie mit unserem Service nicht zufrieden sind, steht es Ihnen selbstverständlich frei, sich ein anderes Lokal für einen Absacker zu suchen. In Maple Meadows gestaltet sich dies jedoch schwierig.« Jetzt sieht er wieder mich an. »Aber egal, wie Sie sich entscheiden, Miley bleibt hier bei uns.«
Clays Gesichtszüge verhärten sich, doch nach kurzem Zögern steht er ohne ein weiteres Wort auf und geht.
Erleichtert atme ich auf, nachdem die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen ist.
Im Gegensatz zu Jacob, der die Hände immer noch flach auf den Tresen presst, scheint Chris die Konfrontation locker zu nehmen.
»Ich bin gespannt, ob der Boss uns morgen früh raus klingelt, weil sich irgendein Idiot über uns beschwert hat«, erklärt er lachend. Er klopft Jacob auf den Rücken, woraufhin sich dessen Haltung entspannt. Bevor er sich wieder seinen eigentlichen Aufgaben zuwendet, zwinkert er mir zu. »Miley, dein Drink geht heute aufs Haus.«
»Danke«, sage ich nur.
Während ich meinen langsam verwässernden Cocktail schlürfe, plaudert Chris mit mir. Er erzählt von irgendeinem neuen Actionfilm, den er vor ein paar Tagen auf Netflix geguckt hat, und fragt mich, ob ich eine Idee hätte, was er seiner Freundin zu Weihnachten schenken könnte. Jacob und ich ignorieren uns.
»Ich werde dann mal aufbrechen«, informiere ich den sympathischeren Barkeeper vor mir. »Das war wirklich ein verrückter Abend.«
»Willst du jetzt etwa nach Hause gehen?«, fragt Chris mich, während er gespülte Gläser zurück ins Regal räumt.
Normalerweise haben die Bartender hier um kurz nach zwölf nicht die Zeit, schon aufzuräumen, doch für einen Samstagabend ist heute verhältnismäßig wenig los im Dome.
Ich unterdrücke ein Augenrollen. »Nein, mein fliegender Teppich lehnt dort hinten zusammengerollt in der Ecke und wartet auf seinen Einsatz.«
»Du meinst wohl eher dein Besen«, murmelt Jacob finster grinsend. »Der würde besser zu dir passen.«
Ich seufze resigniert. »Und gerade noch habe ich gedacht, du hast Rumpelstilzchen zu Hause gelassen.«
Dieser Typ gibt mir echt den Rest. Reicht es denn nicht, dass dieser blöde Clay mir heute den Verstand rauben wollte?!
»O entschuldige, ich habe die fiese Hexe mit der Prinzessin auf der Erbse verwechselt«, lässt er den nächsten bissigen Kommentar vom Stapel. Anschließend schenkt er mir einen seltsam verständnisvollen Blick und erklärt ungewohnt sanft: »Komm, ich bringe dich nach Hause.«
Entweder nimmt Jacob bewusstseinsverändernde Drogen (was ich nicht glaube, denn niemand in Mirons und Adrians Umfeld traut sich das) oder er ist schizophren. Ich tippe schwer auf eine psychische Störung. Es soll verdammt viele Menschen geben, die sowas haben. Vielleicht sollten Kennedy und ich Jacobs Psyche bei einer Flasche Wein analysieren. Nein, ohne Wein. Alkohol ist bei solchen Gesprächen nie ein guter Berater.
»Ich bin erwachsen und kann auf mich selbst aufpassen«, erkläre ich. Mit einer Kopfbewegung weise ich auf die Frauen hin, die Jacob die letzte Stunde lang angeschmachtet haben. »Außerdem bist du beschäftigt.«
Von meinem Gemecker zeigt er sich wenig beeindruckt. Seelenruhig legt er die schwarze Schürze ab und wendet sich an seinen Kollegen. »Chris, ich bringe Miley kurz heim. In zwanzig Minuten bin ich wieder da. Falls der Boss noch kommt, sagst du ihm, ich bin eine rauchen.«
Sprachlos starre ich ihn an. Eigentlich ist es lieb von ihm, dass er mich sicher heimbringen will. Aber die Rührung verdränge ich gekonnt, bis nur noch Ärger übrig bleibt.
»Sag mal, rede ich Mandarin?«, blaffe ich ihn an und bewege mich keinen Millimeter.
»Sweetheart, soll ich dich jetzt nach Hause begleiten oder dir ein Taxi rufen?« Jacob baut sich breitbeinig vor mir auf, verschränkt die Arme vor der Brust und schnaubt entnervt. Aus dem Augenwinkel sehe ich das belustigte Grinsen von Chris, der unsere Diskussion hinter dem Tresen stehend beobachtet. »Du läufst heute sicher nicht allein durch die Straßen, wenn dieser Typ womöglich in irgendeinem Hauseingang lungert und dich nochmal belästigen will. Und wenn ich dich nach Hause bringe, schonst du dein Portemonnaie und noch dazu die Umwelt.«
Ein kalter Schauer läuft über meinen Rücken. Jacobs Argumentation ist gut und das weiß er. Ich erkenne es an dem siegessicheren Funkeln in seinen dunklen Augen.
»Himmel nochmal! Dann begleitest du mich eben nach Hause, wenn es dich glücklich macht«, murre ich.
Einerseits bin ich beruhigt, nicht allein durch die dunkle, eiskalte Nacht laufen zu müssen, andererseits beunruhigt mich der Gedanke, Jacob an meiner Seite zu haben. Er ist gefährlich; nicht im gewöhnlichen Sinn, eher für meinen Verstand und mein Herz.
Trotzdem ist es süß von ihm, darauf zu bestehen.
Miley, du hast ein ernsthaftes Problem.
Ja, weiß ich.
Seufzend lasse ich mich vom Barhocker gleiten, hole meine Jacke und will hineinschlüpfen. Gentlemanlike nimmt Jacob sie mir ab und hilft mir hinein. Er schafft es trotz allem immer wieder, mich zu überraschen.
»Danke, dass du mein Angebot annimmst.«
Selbstzufrieden lächelnd schlüpft er in seine Daunenjacke.
»Bilde dir nur nichts darauf ein«, stelle ich sofort klar und schaue ihn streng an. Zumindest versuche ich es. »Du bringst mich nach Hause, aber du kommst nicht mit in meine Wohnung.«
Beschwichtigend, aber immer noch belustigt, hebt er seine Hände. »Ich habe doch zu Chris gesagt, dass ich gleich wieder zurück bin.« Er öffnet mir die Tür und während ich mit ihm in die Kälte hinaustrete, flüstert er mir ins Ohr: »Glaub mir, Miley, wenn du mich in deine Wohnung lassen würdest, würde ich es heute Nacht nicht mehr ins Dome zurückschaffen.«
Eine Gänsehaut überzieht mich von Kopf bis Fuß. Das liegt an den niedrigen Temperaturen, rede ich mir ein. Ungelenk zerre ich meine bunt geringelte Lieblingsmütze aus meiner Handtasche und setze sie mir auf. Meine Wangen glühen und prickeln jetzt unangenehm in der eisigen Luft. Das muss der Kälteschock sein, schließlich war es in der Bar stickig und warm.
»Ich warne dich, noch so ein Spruch und ich rufe die Taxizentrale.«
»Keine Sorge, ich hab’s verstanden.« Jacob lacht, vergräbt die Hände in den Taschen seiner Jacke und setzt sich in Bewegung. »Komm schon, Sweetheart! Sonst glaubt Chris wirklich, wir zwei würden noch was anderes machen, als einen flotten Spaziergang.«
Ein paar Minuten laufen wir schweigend nebeneinander her. Obwohl Jacob mich manchmal nervt, bin ich froh, nicht allein unterwegs zu sein. Ich bekomme einen kleinen Stich in die Seite, der nicht von der schnellen Gangart herrührt. Es gab mal Zeiten, da haben Jacob und ich uns blendend verstanden. Ich versuche, diesen Gedanken loszulassen, kann ihn aber nicht abschütteln. Es gibt einfach Dinge, die einer Freundschaft nachhaltig schaden.
»Wo hast du diesen Typ eigentlich aufgegabelt?«, will Jacob plötzlich wissen.
Er bleibt stehen, sieht mich durchdringend von der Seite an und kramt seine Zigaretten aus der Hosentasche. Auch ich halte abrupt in der Bewegung inne. Ein Fehler. Sofort schießt der Schmerz wieder meinen Knöchel hinauf.
»Au!«
»Warum ziehen Frauen solche Schuhe an, wenn ihnen die Füße wehtun?«
Diese Stiefel sind winterwettertauglich, sie haben einen breiten, fünf Zentimeter hohen Absatz und sogar Profil. Der tut ja so, als würde ich in Zwölf-Zentimeter-Stilettos herumtänzeln!
»Weil wir schön sein wollen! Und wer schön sein will, muss leiden«, schieße ich zurück.
Der kann mich mal! Wenn ich ihm so zuwider bin, warum zum Teufel möchte er mich dann nach Hause bringen?
Ohne seine vorherige Frage zu beantworten, setze ich mich mit zusammengebissenen Zähnen wieder in Bewegung.
»Das hast du doch gar nicht nötig«, sagt er hinter mir und ich höre seine mir folgenden Schritte. Nach ein paar Metern hat er zu mir aufgeschlossen. »Also? Woher kennst du diesen aufdringlichen Kerl?«
»Ich kenne ihn nicht. Miron hat dieses Date arrangiert.«
»Moment!« Jacob greift nach meinem Arm und zwingt mich so, ebenfalls stehenzubleiben. Seine Augen sind tellergroß und ich kann das Fragezeichen über seinem Kopf regelrecht sehen. »Du willst mir weismachen, dass dein Bruder dir ein Blind-Date beschert hat?«
»Nicht das erste«, erkläre ich seufzend.
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber Jacobs Augen werden noch größer. Vielleicht sollte ich mein Smartphone aus der Tasche kramen und seinen Gesichtsausdruck für die Nachwelt festhalten. Kennedy wird mir das sonst nie glauben.
Wäre die Situation nicht so absurd, würde ich lachen.
Warum erzähle ich ihm das überhaupt? Ich liefere ihm hier gerade wertvolle Munition und er wird sich nicht scheuen, künftig damit auf mich zu schießen.
»Verabschiede dich am besten noch schnell von Miron«, grolle ich. »Er wird den morgigen Tag nicht überleben.«
Aller guten Dinge sind drei, hatte er gestern gesagt. Drei arrangierte Dates sind definitiv drei zu viel.
Vor dem Zubettgehen werde ich den Begriff Foltermethoden googeln. Nein, besser, ich verschiebe das auf morgen früh. Vermutlich kann ich nicht mehr einschlafen, weil grausame Szenarien durch mein Hirn spuken, während mein Bruder sich genüsslich in seinem King-Size-Bett räkelt.
Ich will mich wieder in Bewegung setzen, doch Jacob hält meinen Arm fest. Verwundert schaue ich ihn an.
»Jetzt mal im Ernst, Miley.« Er schluckt. »Warum lässt du dich auf Blind-Dates mit irgendwelchen zweitklassigen Typen ein?«
»Wer sagt dir denn, dass sie zweitklassig sind?«
Ich wollte meine Stimme schärfer klingen lassen, herausgekommen ist aber nur ein leises Flüstern.
Er schenkt mir sein schiefes Grübchenlächeln und ein Schulterzucken. »Keine Ahnung. Gibt es sowas wie männliche Intuition?«
Ich erwidere das Lächeln und senke den Blick.
Jacobs Stimme klingt eindringlich und samten zugleich, während er weiterredet. »Vielleicht lag es daran, wie der Typ dich angesehen hat. Ich glaube, er hat zwar die reizvolle Verpackung gesehen, aber nicht bemerkt, was … in dir steckt. Also, dass du so viel mehr zu bieten hast als ein hübsches Gesicht und eine tolle Figur.«
Obwohl es Jacob nicht bewusst ist: Das ist das schönste und vermutlich ehrlichste Kompliment, das ich seit langem bekommen habe.
Warum nur ist er so launisch? Von seinen Stimmungsschwankungen kriege ich noch ein Schleudertrauma.
»Ich glaube, wir sollten weitergehen«, erkläre ich rau und räuspere mich. »Die zwanzig Minuten sind gleich um und du musst zurück.«
»Du hast Recht«, stimmt er zu, löst seine Hand von meinem Arm und inhaliert einen tiefen Zug aus seiner Zigarette.
Ohne ein weiteres Wort legen wir die letzten Schritte des Fußweges zurück. Vor dem Mietshaus, in dem wir wohnen, bleibt Jacob stehen. Er wartet, bis ich die Haustür aufgeschlossen habe und in das breite Treppenhaus trete. Ich drehe mich nochmal zu ihm um und bedanke mich. Jacob steht vor mir, die Hände wieder in den Jackentaschen vergraben, nickt mir zu und lächelt schwach.
»Bis demnächst, Miley.« Mit diesen Worten dreht er sich um und geht.
Links von mir liegt Jacobs Apartment. Er lebt dort zusammen mit zwei anderen Typen. Ich stoppe vor der dunklen Wohnungstür und mustere das Klingelschild. Ein einziges Mal war ich in dieser Wohnung. Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, stürme ich, so schnell das eben mit einem verstauchten Knöchel möglich ist, die Treppe in den dritten Stock hoch. Schwer atmend komme ich oben an, sperre zitternd die Wohnungstür auf und lehne mich von innen dagegen. Ich bin noch nicht mal richtig aus den Stiefeln geschlüpft, da tapst mir mein Kater entgegen. Er setzt sich auf sein Hinterteil und blickt mich hoheitsvoll an.
»Es war eine Katastrophe, Yoda.« Ich seufze, lasse mich auf meinen Hintern plumpsen und streichle meinen Freund, der langsam näherkommt und zu schnurren beginnt. Wenigstens ein männliches, nicht mit mir blutsverwandtes Wesen, das mich aufrichtig liebt. »Er war ein Idiot. Und ja, du hattest Recht: Ich werde nie wieder auf meinen Bruder hören.« Ich drücke einen Kuss auf Yodas Kopf. »Von Anfang an hätte ich auf dich hören sollen.«
Vermutlich würde ich bei einem Psychologie-Test ebenfalls Auffälligkeiten zeigen – ich rede nicht nur mit meiner Katze und meinen Pflanzen, sondern führe auch innere Zwiegespräche, glaube an höhere Mächte und an Karma. Aber was zu viel ist, ist zu viel.
Yoda springt von meinem Schoß, streckt mir sein Hinterteil entgegen, wandert zu seinem Napf und schenkt mir abermals diesen tadelnden Blick aus unfassbar weisen Augen.
Den kleinen, grauen Streuner habe ich vor einem knappen halben Jahr hinter dem CookieBooks entdeckt. Nachdem ich das Thema Tierhaltung vorsorglich mit meinem Vermieter geklärt hatte, lockte ich den hilflosen Kerl irgendwann mit Futter und süßer Stimme aus seinem Versteck und schleppte ihn zum nächsten Tierarzt. Es dauerte eine Weile, bis er Vertrauen zu mir gefasst hat. Aber es hat sich für uns beide gelohnt: Ich habe einen Mitbewohner, der mir auf dem Sofa Gesellschaft leistet, er hat jetzt eine Untertanin, die versucht, ihm jeden Wunsch zu erfüllen.
Lachend erhebe ich mich und hole das Trockenfutter aus dem Küchenschrank. »Guck mich nicht immer so grimmig an! Um diese Zeit solltest du schlafen und dir nicht den Bauch vollschlagen.«
Yoda widmet sich genüsslich seiner Ration Futter, während ich den Laptop hochfahre. Ich google den Begriff Foltermethoden, nach dem Gespräch mit Jacob werde ich sowieso nicht einschlafen können.